„Abitür, wir gehen!“ – Ein Abschied durch viele Türen

2024/25
Abiturfeier am Gymnasium St. Michael: Zwischen Symbolkraft, Musik und einem starken Appell an Hoffnung und Neugier
Türen können laut quietschen, fest klemmen oder sich mit einem leichten Ziehen öffnen – und manchmal braucht es Mut, Geduld oder einfach den richtigen Moment. Passender hätte das diesjährige Abiturmotto des Gymnasiums St. Michael kaum gewählt werden können: „Abitür, wir gehen!“ Schulleiterin Dr. Susanne Terveer griff das Bild der Tür in ihrer Festrede mit Tiefgang, Wärme und Humor auf – und machte daraus weit mehr als nur ein Wortspiel.
„Die Tür symbolisiert nicht nur den Übergang, sondern auch die Herausforderungen, Chancen und Möglichkeiten, die vor euch liegen“, so Terveer an die 108 Abiturientinnen und Abiturienten. Die Schule, so sagte sie, sei für viele ein sicherer Raum gewesen – nun beginne das Abenteuer auf der anderen Seite der Tür. In einem kunstvollen Bogen spannte sie ihre Gedanken von literarischen Beispielen wie Kafka und den Chroniken von Narnia über christliche Symbolik bis hin zu Eugen Roths augenzwinkerndem Gedicht „Einfache Sache“, in dem ein Mensch vergeblich gegen eine Tür drückt, bis ein anderer sie einfach zieht und sie sich öffnet.
„In vielen Lebenssituationen hilft kein Zwang – die richtige Herangehensweise ist entscheidend“, sagte Terveer. Dabei sei der „Unmensch“ im Gedicht nicht böse – nur klug. Eine Mahnung an alle: Nicht alles lässt sich mit Kraft und Willen erzwingen. Manchmal braucht es Beobachtung, Intuition – oder einfach einen Perspektivwechsel.
Zuvor hatte ein feierlicher Gottesdienst in der Marienkirche den Festtag eröffnet, bevor die Zeugnisse in der Aula der Schule überreicht wurden – musikalisch umrahmt von Schülerinnen und Schülern, deren Talent der stellvertretende Bürgermeister Matthias Harman als „Segen für die Ohren“ lobte.
Harman nutzte seine Rede, um an Eigenverantwortung und Hoffnung zu appellieren. Er zitierte aus dem Buch „Make Your Bed“ von William H. McRaven, einem ehemaligen US-Admiral und Navy SEAL. Harmanns zentrale Botschaft: Große Veränderungen beginnen mit kleinen Gewohnheiten. „Fangt mit kleinen Aufgaben an – zum Beispiel damit, morgens euer Bett zu machen“, so Harman. Das sei dann die erste erledigte Aufgabe des Tages, ein Zeichen von Selbstdisziplin – und womöglich der Start in einen erfolgreichen Tag. Wer morgens das Bett mache, bringe sich selbst in Ordnung, bevor er sich der Welt stelle. Er berichtete über eine eindrückliche Anekdote aus dem Training der US Navy Seals: Wer dort einem Hai begegne, solle nicht in Panik fliehen, sondern ihn mutig auf die Nase schlagen. „Es gibt viele Haie in der Welt“, so Harman. Was zählt, sei nicht Herkunft, Religion oder Hautfarbe – sondern der Wille, sich durchzubeißen. Er schilderte auch eine Szene aus der SEAL-Ausbildung, die sinnbildlich für das Durchhalten in dunklen Zeiten steht: Während einer besonders harten Trainingsnacht mussten die Rekruten stundenlang bis zum Hals im eiskalten, schlammigen Wasser ausharren. Die Stimmung war am Tiefpunkt, die körperliche Erschöpfung greifbar. Da begann einer zu singen – leise, trotzig. Dann ein zweiter. Schließlich sangen alle. Die Ausbilder drohten mit zusätzlichen Strafen, aber niemand verstummte. Die Botschaft: Wer anderen Hoffnung gibt, kann in aussichtslosen Momenten die Welt verändern – oder zumindest eine kalte Nacht im Schlamm.
Für große Emotionen sorgten auch Hanna Färber und Madita Povel, die in ihrer Ansprache mit viel Witz, Selbstironie und Feingefühl den gemeinsamen Weg ihres Jahrgangs Revue passieren ließen. Bereits beim Tag der offenen Tür – so erinnerten sie – sei ihnen ein Obstsong-Lied traumatisch im Gedächtnis geblieben. In der sechsten Klasse verschluckte ein Mitschüler auf Klassenfahrt noch vor der Abfahrt ein Fünf-Cent-Stück, später habe man sich durch Türen zu neuen Sprachen gekämpft – zur „vermeintlich toten“ Lateinischen und zur „Sprache der Liebe“ Französisch. In der EF, als die „Realschulrabauken“ dazu kamen, sei die Skepsis groß gewesen – doch man sei herzlich zusammengewachsen.
Besonders ehrlich war ihr Blick auf das eigene mathematische Talent: „Das einzig Verlässliche in Mathe war irgendwann nur noch die Frage: Wie viel darf ich falsch machen, um noch eine Vier zu bekommen?“ Der Grundsatz „Schule ist nicht alles“ wurde zur Überlebensstrategie – doch mit Dankbarkeit erinnerten sie sich an die Lehrkräfte, die stets ein offenes Ohr hatten, und an die Eltern, „die nachts Taxi gespielt oder den dritten vergessenen Turnbeutel gebracht haben.“ Als sie sich am Ende bei Eltern bedankten, mussten beide eine Pause einlegen – die Tränen und der Applaus kamen gleichzeitig.
Nicht weniger bewegend war die Ehrung einer ganz besonderen Schülerin: Dua kam 2015 in die sogenannte Weltklasse – viele ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler konnten damals kein Wort Deutsch, einige waren sogar Analphabeten. Mit beeindruckendem Fleiß hat sich Dua nun bis zum Abitur hochgearbeitet. Die frühere Schulleiterin Mechthild Frisch überreichte ihr ein Geschenk – und rief damit ein stilles Staunen in der Aula hervor.
Auch die Elternpflegschaftsvorsitzende Kerstin Fischer ließ es sich nicht nehmen, an die „nächtlichen Taxifahrten, vergessenen Sportbeutel und das ganz normale Familienchaos“ zu erinnern – und dabei allen zu danken, die die jungen Erwachsenen auf ihrem Weg begleitet haben.
Gerd Buller, Vorsitzender des Ehemaligenvereins, fasste es in Anlehnung an Mark Twain prägnant zusammen: „Eine Rede braucht einen guten Anfang und ein gutes Ende – und beides sollte möglichst nah beieinanderliegen.“ In diesem Sinne verabschiedete sich auch der Jahrgang 2025 – mit einem Lächeln, vielen Erinnerungen und einem symbolischen Schritt durch eine Tür, die sie für immer geprägt hat.
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