Erinnerungsarbeit geht auch im serbischen Kraljevo weiter

Eine Gruppe von 13 Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums St. Michael, begleitet von ihrem ehemaligen Lehrer Gerd Buller machten sich in der vergangenen Woche auf den Weg in die serbische Stadt Kraljevo, um im Gedenken an das Kriegsende in Deutschland vor nunmehr 68 Jahren auch die Ereignisse in Serbien während der Kriege des 20. Jahrhunderts zu erinnern.

Ziel dieser Fahrt sollte es auch sein, die seit dem Jahre 2005 bestehenden Beziehungen zwischen dem Gymnasium Kraljevo und dem Gymnasium St. Michael zu vertiefen.

Schon die herzliche Begrüßung am Belgrader Flughafen durch die serbischen Gastgeber und die verantwortliche Lehrerin Ivana Vicentievic war ein Signal für die Gastfreundschaft, die die Ahlener Schüler in den nächsten sieben Tagen in den Familien in Kraljevo, aber auch in der Schule erfahren sollten.

 

Doch zunächst stand die Besichtigung der serbischen Hauptstadt mit der beeindruckenden Festung und der riesigen Sava-Kathedrale auf dem Programm. Dabei erfuhren die Schüler, dass Belgrad wohl die einzige Stadt in Europa ist, die im 20. Jahrhundert von drei Kriegen, an denen maßgeblich auch Deutschland beteiligt war, erschüttert wurde.

Die erste Beschießung war gleichzeitig der Beginn des ersten Weltkriegs im Jahre 1914, zum zweiten Mal wurde die Stadt von deutschen Truppen am 6. April 1941 angegriffen und massiv zerstört, und am 24.März 1999 waren es NATO-Flugzeuge, die, auch unter Beteiligung der deutschen Luftwaffe, zur Beendigung des Kosovo-Krieges schwere Angriffe auf Belgrad flogen.

Der 8. Mai stand in Kraljevo dann ganz im Zeichen der Erinnerung an die Kriege, deren Opfer auch diese Stadt geworden war. So, wie schon am 6.Mai im Ahlener Rathausim Vorgriff auf die Erinnerung an das Kriegsende der „Krieg in den Blick“ genommen wurde, folgten die Schüler den Spuren, die die Kriege in Kraljevo hinterlassen hatten.

So gedachten sie der mehr als 1700 Opfer des Massakers vom 14.Oktober 1941, als unter dem Kommando des Generals Franz Böhme zur „Sühne“ für den Verlust von 14 toten und 22 verwundeten deutschen Soldaten „insgesamt 1736 Männer und 19 kommunistische Frauen“ erschossen wurden, wie es damals in einer Meldung hieß. Damit wurde zum ersten Mal für diese Verluste dem „Sühnebefehl“ General Böhmes Rechnung getragen. Im Heimatmuseum der Stadt konnten zahlreiche Exponate besichtigt werden,die das Leid der serbischen Bevölkerung zur Zeit der deutschen Besetzung im 2. Weltkrieg eindrucksvoll dokumentieren.
Nachdenkliche Minen herrschten auch vor, als die Gruppe das im Jahre 2005 errichtete Mahnmal zum Andenken an die Toten der Bürgerkriege von 1991 – 1999 aufsuchte. Allein 42 Tote hatte 1999 der NATO-Angriff auf Kraljevo und die Kaserne nahe der Stadt gefordert. Ebenso im Zeichen der Erinnerung stand der Besuch der Gedenkstätte „21. Oktober“ in der nahe gelegenen Stadt Kragujevac. Hier waren als „Sühnemaßnahme“ für getötete oder verwundete deutsche Soldaten am 21. Oktober 1941 mehr als 2300 Zivilisten, unter ihnen 300 Schüler des Gymnasiums mit ihren Lehrern, ermordet worden. Eindrucksvoll schilderte Herr Stanisa Brkic, der Kurator der Gedenkstätte, den Ahlener Schülern bei einem Rundgang durch die Ausstellung die grausamen Ereignisse der „Tragödie von Kragujevac“, dem größten von der Wehrmacht auf dem Balkan begangenen Massenmord. Der Geschichte Serbiens und der serbischen Orthodoxie näherten sich die Schüler beim Besuch der Kirchen von Zica und Topola. Das Kloster Zica mit seiner Chisti-Himmelfahrt-Kirche, nur 8 km von Kraljevo entfernt, wurde vom hl. Savagestiftet, war bis1250 Bischofssitz der serbischen Kirche und Krönungskirche von sieben serbischen Königen.Topolabekam seine Bedeutung als Hauptstadt des serbischen Aufstands von 1804 bis 1813. In der 1903 von Peter I. gestiftetenmit prachtvollen Mosaiken ausgestatteten Georgskirche aus weißem Marmor ruht fast das gesamte Adelsgeschlecht der serbischen, später jugoslawischen Herzogs- und Königsfamilie Karadjordjević.

Eine Fahrt in das Zlatiborgebirge und der Besuch des so genannten „Küstendorfs“, mit dem der serbische Regisseur Emir Kusturica seine Filmkulisse und sich selbst damit ein Denkmal gebaut hat, endete am Montag eine ereignisreiche Woche, in der natürlich auch die befreundete Schule Ziel der Besucher aus Ahlen war.

Auch durften der Besuch und die Teilnahme an verschiedenen Unterrichtsstunden in der Schule nicht fehlen. Schulleiter Miroslav Vidic konnte mit Stolz auf die fortschreitenden Renovierungsmaßnahmen nach den Zerstörungen durch das Erdbeben vom November 2010 verweisen und die St.-Michael-Schüler stellten mit Erstaunen fest, dass ihre ehemaligen Schultische und Stühle im GymnasiumKraljevo gute Dienste leisteten.

Es waren sieben überaus ereignisreichen Tage, an denen die St.-Michael-Schüler ein doch sehr fremdes Land erlebten, das mit allen Mitteln versucht, den Anschluss an Westeuropa und die EU (wieder)zufinden, Dabei erfuhren die Ahlener eine überschwängliche Gastfreundschaft sowohl in der Schule wie auch den gastgebenden Familien. Über Belgrad ging es wieder mit dem Flugzeug nach Hause zurück. Man darf gespannt sein, wie sich die Partnerschaft zwischen beiden Schulen, aber vor allem zwischen den Menschen, in Zukunft weiter entwickeln und vertiefen wird.

Erste Ergebnisse sind vom Gegenbesuch der serbischen Schüler in Ahlen im September dieses Jahres zu erwarten.

 Foto „SavaBg“: Vor der Sava-Kathedrale in Belgrad versammelten sich die deutschen Schüler zusammen mit ihren serbischen Gastgebern.

Begleitet wurden sie von ihrem Lehrer Gerd Buller (rechts)

Foto „14-Oktober“:

In Kraljevo gehört der Besuch des Mahnmals zu Ehren der mehr als 1700 von der Wehrmacht ermordeten Geiseln zum traditionellen Pagramm der Besuchergruppe des Gymnasiums St. Michael

Foto „nachdenklich“ Ehrenmal 1991-1999:

Nachdenkliche Gesichter gab es bei den Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums St. Michael an dem im Jahre 2005 zur Erinnerung an die Opfer des Bürgerkrieges 1991 – 1999 errichteten Mahnmal. V.li.: Verena Muckermann, Isabell Hoppe, Lisa Kehne, Danny Schott, Carina Kehne, Julian Winkelmann, Lukas Disselkötter, Fabian Rensing, Carina Thiel, Marie Schmitthenner