Yad Vashem – ein Denkmal und ein Name



Kurz vor unserer Abreise besuchten wir die für Deutsche wohl schwierigste Station in Jerusalem Yad Vashem, die zentrale Holocaust Gedenkstätte des Staates Israel.
Yad Vashem, hebräisch für „Denkmal und Name“, möchte den sechs Millionen Opfern Andenken und Erinnerung schaffen, aber auch denjenigen, die sich den Anweisungen des Führers und seiner Helfer widersetzten und Juden unterstützten, indem sie sie versteckten oder ihnen zur Flucht verhalfen. Weltbekannt ist die „Allee der Gerechten“, die durch Bäume gebildet wird, die für diejenigen gepflanzt worden sind, die Juden während der Nazizeit geholfen haben. Im sog. „Garten der Gerechten unter den Völkern“ fanden wir die Namen der Bauern, die – wie jeder in Ahlen weiß – die Familie Spiegel gerettet haben, ein Lichtblick, ein Moment des Aufatmens bei all dem Bedrückenden, das wir gesehen haben. Denn es haben sich viele kleine, oft unbedeutende Menschen der Mordmaschinerie der Nazis entgegengestemmt.

Yad Vashem will einerseits die Erinnerung an eines der größten Verbrechen der Weltgeschichte wach halten und die Ursachen erforschen und andererseits den vielen namenlosen oder zu Nummern degradierten Opfern ihre Identität zurückgeben. Dazu dient die Halle der Namen, die durch eine beeindruckende Installation gestaltet wird. In einer Kuppel angebrachte Fotos von Ermordeten spiegeln sich im schwarzen Wasser eines tiefen Abgrundes der Vernichtung und sind dennoch präsent. Im angeschlossenen Dokumentationszentrum können Informationen über den Besuchern bekannte Opfer und Täter hinterlegt werden. Fragebögen in allen europäischen Sprachen erleichtern und strukturieren die Dokumentation.

Eine moderne multimediale Ausstellung versucht die Ursachen der Shoa, so der jüdische Ausdruck für Holocaust, darzulegen und zu veranschaulichen. Dann zeugen die ausgestellten Exponate von der Realität der Entrechtung, Ausgrenzung, Ghettoisierung, Deportation und schließlich den Mord an den Juden Europas. Wir konnten uns der Emotionalität, der Grausamkeit und den ungeheuren Dimensionen dieses Verbrechens nicht entziehen. Die Ausstellung zielt wohl auch darauf ab, ein Geschehen, das sich rational kaum erfassen lässt, auf einer Ebene der emotionalen Betroffenheit zu erschließen.

Die Architektur des Gebäudes unterstützt diesen Gedanken. Es bildet ein Prisma, das eine hügelige und bewaldete Landschaft durchschneidet. Der Weg durch die Ausstellung bildet ein Zickzack, die Irrwege, Sackgassen und Katastrophen der jüdischen Geschichte aufgreifend. Man steigt hinab in das Inferno, um am Ende, das Prisma öffnet sich zu einem Balkon, der Aussicht auf Jerusalem bietet, in das gelobte Land Israel aufzusteigen. Damit greift der Architekt das hebräische Wort Alija – Aufstieg – auf, mit dem die Auswanderung aus der Diaspora nach Israel bezeichnet wird.

Genau hier trifft uns die Aktualität des Themas. Unsere Gruppe wollte unbedingt nach Yad Vashem, weil wir uns als Deutsche diesem Thema nicht entziehen wollten. Aber unsere palästinensischen Partner wollten davon nichts hören. Für sie stellt sich das Thema Holocaust etwa so dar: Was haben wir damit zu tun, dass vor achtzig Jahren Deutsche versucht haben, die Juden zu töten? Die Israelis nutzen das Thema, um ihren Landraub an den Palästinensern zu rechtfertigen! Wir sind selber Opfer der Machtpolitik der Israelis! Dennoch sind drei palästinensische Schüler zu unserer großen Überraschung mit nach Yad Vashem gekommen. Einer fand, dass alles gelogen sei, ein anderer äußerte sich differenzierter: „Es ist schlimm, was den Juden während der Nazizeit passiert ist, aber das Wissen darum ändert meine Situation der Diskriminierung heute nicht. Wir sind die Opfer der Opfer!“

Im riesigen Gelände von Yad Vashem sind viele große und kleine Denkmäler zu betrachten, die sich oft in expressionistischem Ausdruck dem Leid, dem Schrecken und schließlich dem Tod der sechs Millionen Menschen widmen. Beeindruckt waren wir vom Denkmal für die Deportationen, das einen alten Eisenbahnwagon über eine halbe Brücke in den Abgrund, ins Nichts fahren lässt  und vom Tal der Gemeinden, das wie ein Modell Europas in riesigen Sandsteinblöcken der vernichteten jüdischen Gemeinden gedenkt. Natürlich fanden wir auch Ahlen und die untergegangen Gemeinden in unseren Nachbarstädten. Emotional sehr berührend fanden wir das Denkmal für Janusz Korczak, der seine Kinderschar mit traurigem Gesichtsausdruck umfasst, sie aber nicht retten konnte und die Anlage für die anderthalb Millionen ermordeten Kinder. Hier wird in völliger Dunkelheit das Licht von drei Kerzen durch Spiegel vertausendfacht. Beim Gang durch dieses Sternenmeer hört man die Namen, das Alter und das Herkunftsland der ermordeten Kinder. Danach kann man nur schweigen.