Alexander Richter-Kariger – Ein Zeitzeuge berichtet

Am Freitagmorgen, dem 27.06.25, fand im Geschichtsraum eine besondere Veranstaltung statt. Unter der moderierenden Leitung von Paul Niewöhner trafen wir, die Klasse 10b, auf den Zeitzeugen Alexander Richter-Kariger und stellten ihm viele Fragen zu unterschiedlichen Aspekten seines Lebens in der DDR.

Herr Richter-Kariger ist Jahrgang 1949, nur zwei Monate nach der Gründung der DDR geboren. Ursprünglich war er ein überzeugter DDR-Bürger – heute ist er überzeugter Demokrat.
Er hat etwa 40 Bücher geschrieben, arbeitet für eine Zeitung des Opferverbands und besucht als Zeitzeuge Schulen und Universitäten. Außerdem ist er Teil des Beirats Ü60, wo es um politische Gespräche und Fragen zur aktuellen Lage geht.
Er berichtete uns von seinem Leben in der DDR, von seiner Kindheit bis zur Verhaftung durch die Stasi und seinem Freikauf durch den Westen.
Kindheit und Schulzeit:
Herr Richter-Kariger wuchs in Potsdam auf. Schon in der Schule merkte er, wie stark der Staat Einfluss nahm. Man musste an den Sozialismus glauben und immer wieder zeigen, wie „dankbar" man war, in der DDR zu leben. Ab der 4. Klasse hatte er Russischunterricht – man erzählte, wie großartig die Sowjetunion sei. Die Geschichte der DDR wurde verherrlicht, genauso wie sowjetische Helden. Ein Beispiel wäre Juri Gagarin, der als erster Mensch aus der Sowjetunion die Erde im All umrundete.
Trotz der strengen Vorgaben konnten sie Westfernsehen schauen – heimlich. Alexander Richter war ein großer Fan von westlicher Musik wie den Beatles oder den Rolling Stones. Fernsehen war ein festes Familienereignis.
Er wollte eigentlich Sportreporter werden, doch das klappte nicht, weil seine Abiturnoten nicht ausreichend waren. Sein Vater war Musiker im Polizeiorchester und daher Parteimitglied, aber die Familie war eher unpolitisch.
FDJ und Jugend in der DDR:
In der Schule musste man Mitglied in der FDJ sein. Wer nicht mitmachte oder ohne FDJ-Hemd kam, hatte es schwer. Es gab auch eine strenge Kleiderordnung – wer sich nicht anpasste, wurde ausgelacht und verstoßen. Alexander Richter-Kariger identifizierte sich nicht besonders mit dieser Jugendorganisation.
Er erzählt, dass seine Jugend nicht langweilig gewesen sei. Es gab normale Freundesgruppen, Fahrradtouren, Fußball und ab der 9. Klasse auch Partys.
Arbeit und Verhaftung:
Nach der Schule folgte der Wehrdienst für anderthalb Jahre, dann das Studium in Finanzwirtschaft. Die DDR bestimmte, wo er arbeiten durfte. Nebenbei interessierte er sich fürs Schreiben. Er schrieb heimlich an einem Roman.
Er lernte eine Frau aus dem Westen kennen, die ihn später auch besuchte. Da er nicht ausreisen durfte, las er ihr den Roman vor. Sie war begeistert und wollte weiterlesen – so begann er, ihr Teile des Romans per Brief zu schicken. Die Briefe wurden jedoch von der Stasi abgefangen.
Eines Morgens wurde er festgenommen. In der U-Haft musste er vier Vernehmungen am Tag über sich ergehen lassen. Er fühlte sich ständig beobachtet. Die Stasi hatte sogar ein Zelt im Garten der Nachbarn seiner Eltern aufgestellt, um das Haus zu überwachen.
Elf Monate war er in Untersuchungshaft – ohne zu wissen, was mit ihm passiert. Schließlich wurde er zu sechs Jahren Haft verurteilt, weil er angeblich Spionage betrieb. Er kam ins Zuchthaus Brandenburg.
Die Haftbedingungen seien hart und zermürbend gewesen, er litt psychisch und physisch stark darunter und merkt auch heute noch ihre Folgen. Damit wir uns einen Eindruck machen konnten, zeigte er auch Bilder aus den Haftanstalten – von den Zellen, dem Innenhof und den Verhörräumen.
Freikauf und Leben danach:
Seine Mutter setzte sich unermüdlich für seine Freilassung ein. Schließlich wurde er vom Westen freigekauft und durfte ausreisen. Angebote, für den Westen als Spion zurückzukehren, lehnte er ab. Heute lebt er in Emsdetten, arbeitet kommunal und engagiert sich für die Demokratie.
Seiner Meinung nach ist der größte Unterschied zwischen der DDR-Zeit und heute die persönliche Freiheit: Man darf sagen, was man denkt, den Beruf frei wählen und reisen.
Eine „Ostalgie" verspürt er nicht, antwortet er auf unsere Fragen. Vielmehr wünscht er sich, dass wir Deutsche uns mehr für unsere Demokratie einsetzen.
Artikel von Mattis Bradtke