Kinder brauchen einen geschützten Raum zum Wachsen – Experten-Interviews der 8c zum Thema „Familien in Zeiten von Corona"

Im Rahmen unserer derzeitigen Politik-Reihe „Familie im Wandel" bei Frau Mendel haben wir mehrere Experten-Interviews zum Thema „Familien in Zeiten von Corona" geführt. Zu unserem Glück haben sich sehr schnell einige Expertinnen aus dem sozialen Bereich bereiterklärt, unsere Fragen zu beantworten und uns zu erklären, welche Auswirkungen die aktuelle Situation besonders auf Familien hat: Alexandra Hodek (Erzieherin und Motopädin), Susanne Demand (Leiterin einer KiTa und eines Familienzentrums), Christina Sölker (Grundschullehrerin), Kathrin Eickelpasch (Sonderpädagogin und Grundschullehrerin) sowie Christine Angsmann (Diplom-Sozialarbeiterin beim Jugendamt). Alle Interviews fanden natürlich unter Einhaltung der aktuellen Abstandsregeln statt, wurden also innerhalb von Familien geführt oder aber per Telefon oder Fragebogenverschickung.

Nach einem kurzen Einblick in die verschiedenen Berufsfelder und ihre Zusammenarbeit mit Familien beschäftigte sich unsere erste thematische Frage damit, wie sich denn in dieser von Lockdown und Abstandsregeln geprägten Zeit der direkte Kontakt zu den Familien gestalte. Die Antworten auf diese Frage fielen tatsächlich sehr ähnlich aus: Es bestünden trotz der schwierigen Umstände (Fernunterricht, Ausgangssperre) eine sehr enge Zusammenarbeit und ein starker Austausch mit den Familien durch E-Mails, Telefonate oder auch Mitteilungshefte. Auch beim Elternsprechtag könne sich telefonisch oder persönlich über Probleme ausgetauscht werden. Mit Ämtern, Familiengerichten, Ärzten und Therapeuten sitze man an sog. „Runden Tischen" zusammen, auch mal digital.

Auch auf unsere nächste Frage „Welche Rolle spielen Familien in unserer Gesellschaft und welche Rolle spielt der soziale Wandel?" erhielten wir mehrere Antworten, welche sich ergänzen. Zusammengefasst seien die Familien das Fundament der Gesellschaft und eine Heimat für die Kinder. Die Familie bilde den sozialen „Background" und beeinflusse die Zukunft der Kinder, indem sie die Rahmenbedingungen für ein glückliches Sozialleben und erfolgreiches Lernen biete. Sie trage große Verantwortung, da sie Werte vermitteln, ein gutes Vorbild sein und die Kinder zu Mitgliedern unserer Gesellschaft erziehen müsse. Dies könne aber nicht von jeder Familie ohne Weiteres geleistet werden, teils durch die Auflösung traditioneller Familienstrukturen. Traditionelle Familienstruktur seinen geprägt gewesen durch ein Mehrgenenationensystem, innerhalb dessen sich die Familienmitglieder vor Ort gegenseitig unterstützten, vielfältige Beziehungsmöglichkeiten, die bei Konflikten mildernd haben wirken können, und klare Zuständigkeiten bei der Aufgabenverteilung innerhalb der Familie. Das alles falle weg, wenn Familien nicht mehr an einem Ort wohnen und Rollenbilder sich auflösen, wodurch das Konfliktpotenzial wachse. Die Organisation des Alltags sei daher für die Familien wesentlich komplexer geworden, wenn nicht ein Partner (meist die Frau/ Mutter) auf berufliche Tätigkeit verzichte. Die Expertinnen haben zudem den Eindruck, dass Erziehung zunehmend nicht mehr überall selbstverständlich sei und sie mancherorts sogar völlig vernachlässigt werde, wodurch Kindern oft Klarheit, Orientierung und Grenzen fehlen würden. Äußere Institutionen könnten dies oft kaum kompensieren. Verstärkt werde dies, wenn z.B. beide Eltern voll arbeiten gehen würden und zugleich die Kinderbetreuung wegbreche, da so die Kinder noch mehr auf sich selbst gestellt seien und nicht die schulische Unterstützung erhielten, die sie vielleicht benötigen. Dies verlange ihnen viel Flexibilität in ihrer Entwicklung ab und überfordere viele von ihnen.

Durch Corona seine zudem Kontaktmöglichkeiten beschränkt und damit Freiräume, Ablenkungsmöglichkeiten und Hilfssysteme. Die häufigsten aktuellen innerfamiliären Konfliktfelder ergäben sich in den Bereichen Schule/ Lernen, Betreuungsprobleme, mangelnde Planbarkeit, Hausarbeit, finanzielle Probleme, Beziehungsprobleme, Vernachlässigung von Fürsorge und Pflege, Krankheiten (zunehmend auch psychische), Suchtverhalten, mangelnde Kommunikation, widersprüchliche Erwartungshaltungen und gegenseitige Überforderungen und eine unregulierte Mediennutzung.

Auch die äußeren Rahmenbedingungen von Familien hätten sich verschlechtert: Der schulische Druck sei enorm, Hilfsangebote jedoch oftmals Mangelware, amtliche Unterstützungssysteme griffen oftmals zu spät oder gar nicht. Therapeuten seien oft über Monate ausgebucht.
Man dürfe aber auch nicht die positiven Effekte der aktuellen Situation vergessen: Vielen Familien tue es gut, mehr gemeinsame Zeit zu haben und diese durch gemeinsame Aktivitäten oder Unternehmungen in die nähere Umgebung zu nutzen.
Wir fragten also: Was kann man denn gegen die Probleme tun bzw. was macht ein gutes Familienleben aus, gerade in Corona-Zeiten?

Ein gutes Familienleben sei geprägt von Liebe, Vertrauen, Offenheit, Entspanntheit und Respekt, Zuversicht und Humor. Es brauche Zusammenhalt, Ehrlichkeit, Verlässlichkeit und man sollte viel Zeit gemeinsam verbringen, aber es sollte auch feste Strukturen und Regeln geben. Dies schließe sich gegenseitig in keiner Weise aus. Das ständige Zusammensein gekoppelt mit neuen Ansprüchen wie dem Homeschooling könne aber auch sehr anstrengend für die Eltern sein. Aus dieser Anstrengung heraus könnten auch Konflikte in der Familie entstehen. Zur Lösung dieser Konflikte haben die Expertinnen ein paar sehr wichtige Tipps: Gegenseitiges Zuhören und Kommunikation seien der Schlüssel. Auch Entspanntheit und Zeit zum Beruhigen seien sehr wichtig. Konflikte sollten offen und ehrlich, geprägt von Vertrauen besprochen und gemeinsam gelöst werden. In Bereichen wie der Nichteinhaltung von Regeln oder der Vernachlässigung der Schularbeiten sollte man aber härter durchgreifen, gemeinsam Veränderungsmaßnahmen entwickeln (ggf. mit externer Hilfe) und klare Konsequenzen festlegen.

Auf unsere nächste Frage, was Schulen tun können, um Familien zu helfen, bekamen wir viele verschiedene interessante Antworten. Einer dieser Vorschläge war, dass Schulen mehr auf die familiäre Situation des Kindes als nur auf dessen Leistungen schauen sollten. Also darauf, ob das Kind alles, was man für das Homeschooling benötigt, besitzt, wie einen Schreibtisch, einen Raum zum Lernen, digitale Endgeräte und Arbeitsmaterialien. Auch ein enger Kontakt mit dem Elternhaus (auch Hausbesuche, falls diese im Bereich des Möglichen liegen) seien perfekt, um die individuellen Bedingungen jedes Kindes zu verstehen und gemeinsam mit den Eltern Lösungen für Probleme finden zu können. Schulen könnten Netzwerke spinnen und „vermitteln" und die Kinder und ihre Familien in allen Lebenslagen begleiten. Dafür müssten sie zu sog. „Familienzentren" ausgebaut werden, wie es bei Kindertagesstätten häufig schon der Fall ist. So würde das Kinder systemisch betrachtet statt künstlich als isoliertes Individuum. Das würde zu mehr sozialer Startchancengerechtigkeit führen.

Unsere nächste Frage richtete den Blick auf die schulischen Rahmenbedingungen: Wie könnte die Politik die Familien fördern, bzw. welche familienpolitischen Maßnahmen könnten dabei helfen? Wichtige Maßnahmen wären sowohl eine stärkere Forcierung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die finanzielle Entlastung (vollständige Kostenübernahme für Arbeitsmaterialien, Ganztagsbetreuung, Nachhilfe, 1 digitales Endgerät und Drucker pro Schüler, Sprachkurse, Finanzierung von Notbetreuung auch über die Klasse 6 hinaus) als auch der Ausbau von familienunterstützenden Netzwerken (Beratung, Betreuung, Krisenbegleitung, Nachhilfe und Therapien, Familientrainings). Auch der Ausbau von Freizeitangeboten wäre bereits eine große Hilfe, denn Freizeit und Frischluft kämen in dieser Zeit viel zu kurz. Dies kombiniert mit dem bereits erwähnten ständigen "Aufeinander-Hocken" führe zu weiterem Stress und zu Streitigkeiten, da die Möglichkeit fehle, den Konflikten aus dem Weg zu gehen, auch wenn sich manche Konflikte dadurch schneller lösen ließen. Gesellschaftlich würden alle Generationen von familienentlastenden Diensten profitieren wie „Leih-Omas", „Vorlese-Opas", „Familien-Paten", „Sprach-Paten", „Hausaufgaben-Paten", Nachhilfe durch höhere Jahrgänge an Schulen („Tutorensystem") oder Babysitter-Börsen, wie sie die Familienbildungsstätten manchmal anböten. So würde die Vereinsamung Älterer genauso gemindert wie die Überforderung von Familien und die Kinder wären die größten Profiteure.

Was wir aus diesen Interviews gelernt haben, ist, wie vielfältig die Herausforderungen sind, vor denen viele Mitschüler und ihre Familien gerade stehen, und, dass Verständnis, Kommunikation und Unterstützung in diesen Zeiten wichtiger sind denn je, sowohl innerhalb der Familie als auch nach außen hin.

Lasse Eickelpasch, Lars Sölker, Jesse Malczewski (8c)