Ex-Neonazi gibt Präventionskurs zum Thema Rechtsextremismus am Gymnasium St. Michael

Philip Schlaffer – diesen Namen kennt in Mecklenburg jeder Polizist. Der 41-Jährige war über Jahre einer der führenden Köpfe in der rechten Szene. Die blauen Augen fallen auf, die Tätowierungen an den Armen und am Hals sind nicht zu übersehen. Doch die SS-Rune ist einer HSV-Flagge gewichen, das Hakenkreuz ist auch überstochen worden. Viele Jahre war der heute 41-jährige Philipp Schlaffer einer der gefährlichsten Rechtsextremen in Deutschland. Jetzt engagiert er sich im Verein Extremislos als Gewaltpräventionstrainer und berichtet von seinem Ausstieg. Das Gymnasium St. Michael engagiert sich gegen Rassismus und konnte den Aussteiger für einen in Ahlen bisher einmaligen Vortrag gewinnen.

Mit den beiden Leistungskursen des Fachs Pädagogik hat Philip Schlaffer gesprochen. Dabei geht er mit seiner Vergangenheit Schlaffer offen um. Und für das, was die jungen Erwachsenen in mehr als drei Stunden erfahren sollten, gibt es wohl kaum einen besseren Referenten als Philip Schlaffer. Denn er weiß – nicht nur theoretisch – genau, wovon er spricht. Vor den Schüler*innen spricht er über die dunklen Kapitel seiner Vergangenheit: seine Zeit als Neonazi, über Messerstechereien, illegale Geschäfte, Körperverletzung und über insgesamt drei Jahre im Gefängnis.

Als Schlaffer zehn ist, zieht seine Familie aus beruflichen Gründen nach Newcastle, eine Industriestadt im Norden Englands. Er kommt nach anfänglichen Startschwierigkeiten und trotz der Entwurzelung aus seinem Umfeld gut zurecht, findet neue Freunde, hat in der Schule gute Noten. Vier Jahre später geht es zurück nach Lübeck – in die alte Schule, ins alte Haus. Und in dem Moment kippt die schöne Kindheit. Schlaffer sträubt sich gegen die erneute Entwurzelung und will nicht zurück. Er findet keinen Anschluss, die Noten sind schlecht. „Du bist ein Loser", sagen seine Mitschüler*innen. „Streng dich mal ein bisschen an", sagen seine Eltern. Dass die Startschwierigkeiten zur echten Krise werden, merken sie nicht. Die Eltern kommen an den pubertierenden Jungen nicht mehr richtig ran.

Dass er zu diesem Zeitpunkt rechte Musik hört, im Keller deutschnationale Fahnen aufhängt und Mitschüler verprügelt, nehmen seine Eltern besorgt wahr und versuchen durch Verbote und Belehrungen einzugreifen. Diese Verbote erzeugen in dem rebellierenden Teenager jedoch immer mehr Wut, so dass seine Eltern zum Feindbild für Schlaffer werden und er über Jahre hinweg immer tiefer in die rechte Szene abrutscht. Dort findet er, was er so dringend sucht: Anerkennung.

Später steigt Schlaffer zur anerkannten und gefürchteten Größe in der Neonazi-Szene auf. Er eröffnet in Wismar den „Werwolf-Shop", verkauft dort rechte Klamotten und unter dem Ladentisch verbotene Musik. Der Shop wird zum Zentrum der Rechten in Ostdeutschland und Schlaffer steigt zu einem der bedeutendsten Produzenten illegaler Rechtsrockmusik in Deutschland auf. In den Medien erlangte er 2009 deutschlandweit Bekanntheit, als er bei einer antifaschistischen Demonstration vor seinem Laden mit vier weiteren Angreifern, ausgerüstet mit Alu-Baseballschlägern, auf die Demonstranten losgehen wollte. Die wenigen anwesenden Polizisten mussten ihre Dienstwaffen ziehen, um eine Gewalteskalation zu vermeiden.

Schlaffer war mehr als zwei Jahrzehnte in den unterschiedlichsten Subkulturen unterwegs. Er hat viele negative Erlebnisse innerhalb der rechtsextremen Subkultur erlebt, besonders viel Gewalt und Betrug untereinander. Selbstverständlich hatte er auch tolle Momente und zeitweise ein Gefühl von Familienersatz in diesem Milieu, ohne einige positive Erlebnisse hätte er kaum einen so langen Weg gehen können. Ein einziges Schlüsselerlebnis gab es nicht, so wie Schlaffer als Jugendlicher langsam in den Rechtsextremismus reingekommen ist, so langsam war auch die Entwicklung hinaus. Vor ein paar Jahren, nach einer weiteren großen menschlichen Enttäuschung, kam das harte Aufwachen, die Kehrtwende mit psychologischer und seelsorgerischer Hilfe.

Schlaffer setzt bei seiner Arbeit auf Aufklärung sowie Prävention. Verbote bringen seiner Meinung nach nichts bzw. wenig, das menschenverachtende Gedankengut kann man nicht per Gesetz verbieten, sondern es muss durch Bildung und positive Erfahrungen ersetzt werden. Deshalb arbeitet Schlaffer mit den Schüler*innen die Faszination für Extremismus auf und stellt erschreckende Vergleiche zu aktuellen politischen Bewegungen. Die Schüler*innen zeigen sich engagiert und gewannen viele, teils schockierende Erkenntnisse und konnten ihr Theoriewissen aus dem Pädagogikunterricht realitätsnah anwenden. Schlaffer beeindruckt mit seiner Persönlichkeit und seinem Insiderwissen. Er beantwortet zahlreiche Fragen, auch wenn sie unbequem sind bzw. sich kritisch mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen. Insgesamt war die Veranstaltung ein besonderes Erlebnis für alle Beteiligten. Die mehr als 40 Schüler*innen aus der Q2, die für die freiwillige Teilnahme an dem Vortrag ihre Freizeit opferten, reflektierten die Veranstaltung als gewinnbringend und sprachen sich für weitere Projekte dieser Art aus.

Das Gymnasium St. Michael bedankt sich bei Herrn Schlaffer sowie den Förderern der Schule. Die Veranstaltung wurde vom Förderverein der Schule sowie vom Jugendfonds der Partnerschaft für Demokratie Ahlen „Demokratie leben! Eine Idee vom Glück" gefördert. Die Jugendlichen des Jugendfonds waren von der Idee begeistert und gaben ihre Zustimmung zu diesem bisher einmaligen Projekt als eine Kooperation der Stadt Ahlen, der AWO Ruhr-Lippe-Ems und des Bürgerzentrums Schuhfabrik in Ahlen.

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