Besuch in einem unbekannten „Dazwischenland“. St.-Michael-Schüler besuchen die Partnerschule im serbischen Kraljevo.

Vor genau 10 Jahren zehn Jahren besuchte eine Schülergruppe unserer  Schule zum ersten Mal das Gymnasium Kraljevo in Zentralserbien. Damals machten sich elf Schüler mit drei Begleitern noch mit dem Zug auf die lange Reise. In diesem Jahr reiste eine 23-köpfige Schülergruppe der Jahrgangsstufe EF (10) mit ihrer Lehrerin Gisela Schröder und dem ehemaligen Lehrer Gerd Buller in das weitgehend unbekannte Land auf dem Balkan. Typischerweise wurde es in einem Pressebericht auch als das „Dazwischenland“ bezeichnet. Wo zwischen? Vielleicht zwischen Jugoslawien mit seinem vergangenen Staatsverständnis, Autobahn und Adria und heute ohne Touristen und einer „Adria“, die nur noch aus dem Donauufer besteht. Bei unseren Gastgebern finden wir offene Arme und Willkommen, aber auch die Weigerung, sich mit der jüngsten Geschichte, die von Bürgerkrieg und Vertreibungen bestimmt war, auseinanderzusetzen. Seit dem Zerfall Ex-Jugoslawiens in den 90ger Jahren des letzten Jahrhunderts erscheint dieses Land zunehmend abgehängt von Westeuropa, ist als Urlaubsregion weit hinter das bevorzugte Kroatien (inzwischen Mitglied der EU), Montenegro und Slowenien (auch EU), zurückgefallen.

Umso wichtiger erscheint es, gerade mit Serbien und seinen Menschen, hier die Schüler und Lehrer des Gymnasiums Kraljevo, in Kontakt zu bleiben. Intensiv hatte sich die Schülergruppe mit der Geschichte Jugoslawiens, vor allem die des 19. Und 20. Jahrhunderts,  beschäftigt und dabei besonders die Auswirkungen der Bürgerkriege 1992 – 1999 in den Blick genommen. Auch Kraljevo und seine Umgebung war 1999 Ziel von NATO-Angriffen. Die aktuelle Flüchtlingssituation wurde thematisiert, und vor Ort konnten wir Erfahrungen über die Lebensbedingungen der Menschen Serbiens wie auch die Situation der dort siedelnden Roma  sammeln.

Im Mittelpunkt standen natürlich die Begegnungen mit den schon über soziale Medien bekannten Schülern des Gymnasiums in Kraljevo und ihren Lehrern.

Nach der Ankunft in Belgrad stand zunächst die Besichtigung dieser Stadt auf dem Programm, wo neben der Festung und der gewaltigen Kathedrale des Hl. Sava auch das Mausoleum und die Gedenkstätte Titos Ziel der Gruppe war. Gerade an dieser Gedenkstätte ist bis heute die Anerkennung und auch eine gewisse Verehrung des letzten Präsidenten Jugoslawiens und Mitbegründers der „Bewegung
blockfreier Staaten“ wahrzunehmen.

Der nächste Tag gehörte dem Besuch der Stadt Novi Sad in der Vojvodina. In dieser österreichisch-ungarisch geprägten Region wurden im 18.Jahrhundert Serben aus den südlichen, türkisch beherrschten Gebieten angesiedelt, die heute in dieser autonomen Region die Bevölkerungsmehrheit bilden.

So befinden sich in dem kleinen nahe gelegenen Ort   Sremski Karlovci (Karlowitz)das älteste serbische Gymnasium und der Bischofssitz des orthodoxen Patriarchen. Novi Sad wird beherrscht von einer riesigen Festungsanlage Petrovaradin auf dem südlichen Donauufer. Gebaut wurde sie nach dem Sieg über die Türken ab 1697. Von da an siedelten sich zunehmend Handwerker und Geschäftsleute um die Festung und auf dem gegenüberliegenden Donauufer an, woraus die heutige (zweitgrößte) Stadt Serbiens entstand.

Am Nachmittag ging es dann auf die 250 km lange Fahrt nach Kraljevo, wo wir am Gymnasium von unseren Gastgebern überschwänglich begrüßt wurden. Für die nächsten fünf Tage sollten ihre Wohnungen auch unser Zuhause sein.

 Gleich am nächsten Morgen wurde die Gruppe vom Schulleiter Mirko Vidic offiziell begrüßt und Ivana Vicentievic als Leiterin des Austausches auf serbischer Seite, machte die Ahlener mit dem serbischen Schulsystem und seinen Besonderheiten vertraut. Eine Besonderheit fiel sofort auf: Am Montagabend wurde im Hotel „Turist“ mit großem Pomp der Abiturball gefeiert, die Klausuren und mündlichen Prüfungen fanden aber erst danach an den nächsten Tagen statt. Sie haben eher formalen Charakter, da die „richtige“ Prüfung erst bei der angestrebten Aufnahme an einer Hochschule erfolgt. Darin stellten sich die Schüler aus Kraljevo im vergangenen Jahr als die Besten ganz Serbiens herus. Der Besuch verschiedener Unterrichtsstunden in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik konnte diese Informationen am praktischen Beispiel noch vertiefen.

Nach diesen ersten Schul- und Unterrichtserfahrungen führte der Weg  die Ahlener Gäste  zur Gedenkstätte des 14. Oktober, die an die Gräuel  der Wehrmacht vom Oktober 1941 erinnert. Konfrontiert wurden sie auch mit den dramatischen Ereignissen des Bürgerkrieges von 1999, dem allein über vierzig junge Menschen der Stadt  Kraljevo als Soldaten und Zivilisten zum Opfer fielen.

Das ausgezeichnete Stadtmuseum mit Exponaten aus der mittelalterlichen Besiedlung bis hin zu den Geschehnissen des Bürgerkrieges wie auch der 1995 begonnene und nun fast fertiggestellte Bau der Kirche des Hl. Sava waren weitere Ziele des Stadtrundgangs.

Der nächste Tagesausflug führte dann zum nahegelegenen Kloster Zica mit der Krönungskirche sieben mittelalterlicher Könige Serbiens. Weiter ging es zum Berg Maglic im romantischen „Fliedertal“ mit der gleichnamigen Festung aus dem 14. Jahrhundert, die noch in Resten erhalten ist. Angelegt wurde sie zur Sicherung von Zica und Beherrschung des Zugangs zur Klosterregion.

Einer der Höhepunkte des Besuchs wurde die zusammen mit den serbischen Schülern unternommene Busreise zur bosnischen Stadt Vicegrad in der „Serbischen Republik Bosnien und Herzegowina“. Hinter diesem sperrig erscheinenden Begriff verbirgt sich die Geschichte der Abspaltung Bosniens von Jugoslawien 1992, die in den Bosnienkrieg mündete, der gerade in diesem Gebiet große Opfer vor allem unter der bosnischen Bevölkerung mit muslimischer und kroatischer Abstammung  gefordert hatte. Symbol dafür ist  der Völkermord im nahegelegenen Srebrenica vor genau zwanzig Jahren, dem schlimmsten Kriegsverbrechen nach dem zweiten Weltkrieg.

In Vicegrad ließ der serbische Filmregisseur Emir Kusturica die dem Literaturnobelpreisträger Ivo Andric gewidmete sogenannte „Steinerne Stadt“ erbauen. Der mit seinem Buch  „Die Brücke über die Drina“ bekannt gewordene Autor  ist denn auch der Namensgeber des bei den muslimischen Bosniaken nicht unumstrittenen Bauwerks „Andricgrad“.

Das ebenso von Kustirica gebaute „Küstendorf“, Kulisse zu seinem  Film „Das Leben ist ein

Wunder“, gehörte dann zum abschließenden Besichtigungsprogramm der Ahlener Schüler. Dieses Dorf in den Hügeln von Mokra Gora ist ein malerisches durchaus umstrittenes Abziehbild traditioneller serbischer Ethnoidylle. Mit seinen verwinkelten Gassen und einem grandiosen Ausblick auf das Zlatibor-Gebirge wirkt es wie ein wildromantischer Ort im Nirgendwo. Zwar sahen wir nicht Emir Kusturica,in Serbien eine „richtig große Nummer“ mit seinem Freund Jonny Depp in der Dorfkneipe am Tresen einen Slivowitz trinken, dafür aber seinen Sohn, der es sich vor eben dieser Gaststätte bei einer Tasse Kaffee bequem gemacht hatte.

Nach einem weiteren Schulaufenthalt am letzten Tag, an dem die Abiturientin Nadja Vukasinovic mit einer in brillantem Englisch vorgetragenen Präsentation ihres Afrikaabenteuers überzeugte (ach ja, direkt im Anschluss musste sie zu ihrer Abiturklausur in Englisch eilen) , endete unser Aufenthalt mit eigenen Aktivitäten bei den Gastgeberfamilien oder einem letzten Bummel durch die sommerlich warme Innenstadt Kraljevo.

Resümee: Es waren sieben überaus ereignisreiche Tage, an denen wir ein doch sehr fremdes Land erlebten, das mit allen Mitteln versucht, den Anschluss an Westeuropa und die EU (wieder) zu finden, aber dennoch sehr weit davon entfernt scheint.

Dabei erfuhren wir eine überwältigende  Gastfreundschaft sowohl in der Schule wie auch in den gastgebenden Familien. Man darf gespannt sein, wie sich die Partnerschaft zwischen beiden Schulen, aber vor allem zwischen den Menschen, in Zukunft weiter entwickeln und vertiefen wird.

Erste Ergebnisse sind vom Gegenbesuch der serbischen Schüler in Ahlen im September dieses Jahres zu erwarten.

 

 

 

Die Kathedrale des Hl. Sava ist der größte Kirchenbau auf dem Balkan und der Hagia Sophia in Istanbul nachempfunden

Die Festung in Belgrad stammt aus dem 15. Jh. Und war in den Kriegen des Habsburger Reiches gegen die Türken immer wieder schwer umkämpft

 

Ausblick von der Festung auf den Save-Donauzusammenfluss

 

Das Gymnasium in Karlovci (in der Vojvodina bei Novi Sad) ist das älteste Gymnasium Serbiens (gegr. 1791)

Blick von der Festung Novi Sad über die Altstadt auf den neuen Stadtteil jenseits der Donau

Unter dem beim Erdbeben von 2010 zerstörten und inzwischen wieder aufgebauten Haupteingang zum Gymnasium versammelten sich die Ahlener Schüler mit ihren serbischen Gastgebern. Rechts im Bild die verantwortliche Lehrerin Ivana Vicentievic.

Die Ahlener Schüler besuchten auch die  Gedenkstätte des 14. Oktober in Kraljevo, wo an Baumstümpfe erinnernde Steinsäulen die am 14.Oktober 1941 von der Wehrmacht ermordeten Geiseln symbolisieren.

 

 

 

In der Kirche des Klosters Zica wurden im Mittelalter sieben Könige Serbiens gekrönt.
                                               Die Burg Maglic (hier ein Modell) schützte im Mittelalter die Krönungskirche                                   von Zica, aber auch den Handelsweg entlang des Flusses Ibar

 

Hier befindet sich die Gruppe in den noch zu erkennenden Grundmauern der kleinen Kirche der Festung.

Entlang der Drina (im Hintergrund die berühmte Brücke) ging es zur „Steinernen Stadt“ Androvic, dem Dichter Ivo Andric gewidmet.

Das „Küstendorf“, abgeleitet vom Namen des Gründers Emir Kusturica in den Hügeln von Mokra Gora ist ein malerisches durchaus umstrittenes Abziehbild traditioneller serbischer Ethnoidylle.

 

Vor dem Abschied in der Nacht konnte man noch durch das sommerlich warme Kraljevo bummeln.