Leben im Schatten der Mauer

Vom 09. bis zum 23. April fand eine Fahrt nach Israel verbunden mit einem Schüleraustausch des St. Michael Gymnasiums in Ahlen und dem Collège des Frères in Jerusalem statt. Die Reise nach Israel und Palästina bot der Gruppe die einmalige Gelegenheit sich ein eigenes Bild von diesen, durch einen tief liegenden Konflikt gespaltenen, Nationen zu machen.
In der ersten Woche der Reise hatten die Schüler berühmte Orte vor allem im Norden Israels gesehen und sich mit der strategischen Lage und dem Sicherheitsbedürfnis Israels beschäftigt. So hat uns Lydia Aisenberg vom Friedenszentrum Givat Haviva über den Verlauf des Sicherheitszauns in dieser Region aufgeklärt, der ihrer Meinung nach zwar die Selbstmordattentate verhindere, aber auch zu absurden Konsequenzen für die Bewohner z. Bsp. im geteilten Dorf Bata’a führe. Es gibt Israelis und israelische Araber, palästinensische Araber mit und ohne Aufenthaltsrecht in Israel, Israelis, die nicht in die palästinensischen Autonomiegebiete dürfen, und jüdische Siedler, die Land in Palästina besetzt halten. Kurz: es gibt zwei Völker, die eng nebeneinander, aber nicht miteinander leben, dafür aber in einem oft gewalttätigen Konflikt gefangen sind.
In der zweiten Woche wohnten wir bei palästinensischen – christlichen und muslimischen – Gastfamilien in Jerusalem. Dort bot sich eine andere Kultur, die sich besonders durch Offenheit und sehr ausgeprägte Gastfreundschaft auszeichnet. Trotz des verhältnismäßig kurzen Aufenthaltes wurden alle deutschen Teilnehmer stark in die arabischen Familien integriert und schlossen Freundschaften mit den Austauschpartnern. Auch auf den Straßen erlebten wir die freundliche Mentalität Palästinas. Wir waren mit vielen Bildern und Vorstellungen in unseren Köpfen nach Jerusalem gekommen, die vor allem von dem Konflikt und von der Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern geprägt worden waren und standen mit Verwunderung einem modernen, zivilen und friedlichen Alltag gegenüber. Unsere Austauschpartner haben die gleichen jugendlichen Interessen wie wir.
Gleichzeitig wurden uns die Probleme bewusst, mit denen die Menschen in Palästina zu kämpfen haben, so zum Beispiel die ständige Kontrolle durch Sicherheitsleute oder die stark eingeschränkte Bewegungsfreiheit. Durch solche Umstände kann es für Schüler Stunden dauern, zur Schule zu gelangen, in vielen Gebieten, so auch in Ost Jerusalem gibt es jedoch nicht genug Schulen, wodurch jedes Jahr viele Jugendliche keine Möglichkeit haben eine höhere Bildung zu erlangen.
Viele Schulen und Universitäten sind für alle Religionen offen und bieten ein Beispiel für friedliches Zusammenleben. So studieren an der päpstlichen Universität in Bethlehem christliche und muslimische Palästinenser, die sonst auch eher ihren unterschiedlichen Traditionen folgen, auf hohem Niveau gemeinsam. Jerusalem vereint unterschiedliche Religionen sowie ihre Heiligtümer und das Programm ermöglichte uns Schülern einen guten Einblick in diese vielseitige Stadt.
Doch auch die deutsche Geschichte spielte eine große Rolle in der zweiten Woche des Aufenthalts. Die Gruppe besuchte das Holocaust-Museum Yad Vashem, wodurch viele auch mit ihren Gastfamilien über die Judenverfolgung ins Gespräch kamen. Die Meinungen dort wiesen große Unterschiede auf, viele waren betroffen von der Geschichte der Juden. Es gab jedoch auch abweichende Meinungen bis hin zu der Auffassung, der Holocaust sei eine jüdische Erfindung gewesen, um die Existenz Israels zu rechtfertigen. Dies war gerade für uns deutsche Schüler schwer nachzuvollziehen, da wir durch unseren Unterricht sehr vertraut mit und sehr informiert über das Thema sind. So mangelt es in Palästina an Aufklärung in den Schulen über den Holocaust. Viele palästinensische Eltern bemühen sich deshalb, ihre Kinder privat über dieses Thema zu unterrichten und zu informieren. Häufig begegnete uns die Meinung „Wir sind die Opfer der Opfer“ (We are the victims of the victims).
Das ständige Andauern des Konfliktes schlägt sich sichtbar in den Gedanken der Involvierten nieder: Viele Menschen auf beiden Seiten glauben nicht mehr an eine Lösung. Doch sowohl unter den Israelis als auch unter den Palästinensern gibt es Einzelne, die sich aktiv für eine friedliche Lösung einsetzen. Ihre Hoffnung ist es,  zwischen beiden Gruppen zu vermitteln und aufzuklären, um dadurch das Verständnis für die jeweilig andere Seite zu wecken.
Das eigene Erlebnis der Vorgänge, Umstände und Mentalität ist nicht zu vergleichen mit der theoretischen Auseinandersetzung und beschäftigt noch lange danach. Das Thema unseres Austauschprogramms für dieses Jahr heißt: „Leben im Schatten der Mauer“. Wir wissen jetzt, was es heißt, in einer von Mauern getrennten Gesellschaft zu leben. Die Schüler des St. Michael Gymnasiums werden diese Reise nicht vergessen und wir werden uns im Sommer, wenn unsere Freunde aus Jerusalem zu uns kommen, mit den Mauern in Deutschland und auch in unserer Heimatstadt Ahlen beschäftigen.

Henrike Schuster, Jgstf. 11